Gedanken & Beobachtungen einer Anfängerin.
Von: Ines Michel
Im September 2013 folgte ich in meiner Funktion als Chefin Spitzensport von Swiss Shooting einer Einladung vom Bundesamt für Sport, gemeinsam mit meinen Berufskollegen von Swiss Aquatics sowie dem Direktor von Swiss Olympic als Podiumsteilnehmerin über die Frage zu diskutieren, wieviel Spitzensport sich die Schweiz leisten möchte. Die Podiums-diskussion fand im Rahmen des Magglingertags statt, einer dazumal jährlich stattfindenden Veranstaltung, an welcher rund 250 Vertreter aus Sport, Politik und Wirtschaft teilnahmen.
Das Thema wurde von allen Seiten beleuchtet. Letztlich lagen alle Vor- und Nachteile auf dem Tisch und man war sich einig. Wie damals ist es auch heute so, dass der Spitzensport in unserer Gesellschaft fest verwurzelt und der Schweiz einiges an finanziellem Aufwand wert ist. Was dazumal in den Fachkreisen diskutiert wurde, wird auch in Vereinen regelmässig und grundsätzlich hinterfragt. Die Quintessenz: meist überwiegen die Argu-mente für den Leistungs- und Spitzensport. Aber das muss man sich eben auch leisten können.
Von der Daseinsberechtigung des Breitensports.
Hingegen wird praktisch nie die Daseinsberechtigung des Breitensports hinterfragt. Die Frage wäre theoretisch ebenso legitim, ist aber offensichtlich einfach zu beantworten. Auch der See-Club Zug hat sich in seinen Vereinsstatuten zum Breitensport bekannt.
Leistungssport und Breitensport definieren sich auf grundsätzlich unterschiedliche Art und Weise. Unter Leistungssport versteht man landläufig die intensive Art, Sport auszuüben, mit dem Ziel, im Wettkampf eine hohe Leistung zu erreichen. Der Begriff Breitensport hingegen bezeichnet die sportliche Aktivität, welche der Fitness sowie dem Spass am Sport dient.
Wir im See-Club Zug halten es recht simpel. Wer nicht ein oder mehrere Jahre regattierte, ist kein Leistungssportler. Lustigerweise zählen auch ehemalige Regattierende, welche von ihrer damaligen Form meilenweit entfernt sind, noch immer zum erlauchten Kreis der Leistungssportler. Während sich die Sportwissenschaft bei der Unterscheidung zwischen Breiten- und Leistungssport an der Leistungsfähigkeit orientiert, wird sie bei uns ausschliesslich aufgrund der technischen Skills fest-gemacht.
Keine Spitze ohne Breite – keine Breite ohne Spitze.
Doch warum muss eine Unterscheidung in Leistungs- und Breitensport so deutlich gelebt werden?
Das muss es nicht. Erfolgreiche Vereine haben eines gemeinsam: sie stellen eine generelle Durchlässigkeit sicher. Denn es gibt offensichtlich einen gemeinsamen Ausgangspunkt: die Liebe zum Rudersport und das Vereins(er)leben.
Der Breitensport sollte sich naturgemäss in den unter-schiedlichsten Facetten zeigen dürfen. In welcher Form auch immer gerudert wird: sei es als ehemaliger Regattierender, als ambitionierter Breitensportler, als einmal wöchentlicher Wanderrudergeniesser oder als Anfänger - den klassischen Breitensportler gibt es nicht. Charakteristisch vernetzt sich der Breitensport mit allen Bereichen. Breitensportler unter-stützen bei der Organisation von unterschiedlichsten Veranstaltungen und Wettkämpfen, sind in der Ausbildung aktiv und pflegen engen Kontakt zu anderen Vereinen. Der klas- sisch hohen Drop-out-Quote von Leistungssportlern im jungen Erwachsenenalter kann mit einer gut aufgestellten, breiten Basis entgegengesteuert werden. Die «normalen» (Breiten-)Sportler sind für einen Sportverein mindestens so wichtig wie die Aushängeschilder. Um sie zu finden und zu halten, braucht es einiges an Aufwand.
Die Herausforderung: es sitzen alle im gleichen Boot.
Neben dem ehemaligen Leistungssportler und dem durchschnittlichen Breitensportler gibt es auch den klassischen Anfänger. Dieser entwickelt sich über die Zeit - mit etwas Glück und Ausdauer - zum Breitensportler von morgen - was uns in ein Dilemma stürzt. Offensichtlich gehört der Rudersport, zumindest im See-Club Zug, zu den Sportarten, bei denen sich die Integration von Anfängern anspruchsvoll gestaltet. Die Sportler sitzen nicht nur sprichwörtlich in einem Boot. Ein einzelner (noch) nicht perfekt funktionierender Bootsinsasse kann das Gruppenerlebnis auf den Nullpunkt katapultieren – das Boot läuft nicht rund und das Training wird zum Frusterlebnis.
Das Dilemma im Breitensport.
Als Umkehrschluss dieses Dilemmas hat sich folgender, recht einfach zu begreifender aber gar nicht so einfach zu beschreibender, Status Quo entwickelt: Die ehemaligen Regattierenden trainieren, wenn irgendwie möglich, zusammen mit anderen ehemaligen Regattierenden. Breitensportler, welche die Grundzüge des Rudersports verstanden haben und auf einem anständigen Niveau unterwegs sind, treffen sich individuell. Im eigens zur Terminabstimmung eingerichteten Online-Tool für ausgewählte Breitensportler herrscht gähnende Leere, während Boote voll besetzt auf dem Wasser unterwegs sind. Alteingesessene Breitensportler haben eigene Chatgruppen und beständige Bootskollegen. Manche Breitensportler verabreden sich Sonntags einfach um halb acht. Breitensportler, welche zumindest im Boot nicht stören, werden stillschweigend akzeptiert. Weniger versierte Breitensportler wiederum werden, wenn möglich, gemieden. Es „menschelt“ an allen Ecken und Enden – da könnte man schon mal ins Schmunzeln kommen.
Ach - und was ist mit den Anfängern? Naja, die schauen in die Röhre.
Dabei spreche ich aus eigener Erfahrung. Nachdem ich im vergangenen Frühling das er-ste Mal an einer Sonntagsausfahrt teilnahm, hing der Himmel noch voller Geigen. Ich fühlte mich gut aufgehoben. Die für Anfänger angebotenen Trainings waren oftmals nur Ausfahrten, ohne direktes, technisches Feedback – was ich mir sehr gewünscht und gebraucht hätte. Nach und nach bekam ich dann mit, dass es eine Art Parallelwelt gibt. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich in diese andere Welt rein- komme, und so richtig sagen konnte (oder wollte) mir das auch niemand. Ich war im Club dabei, aber nicht richtig angekommen. Enttäuschend war nicht die Erkenntnis, dass ich den unsichtbaren Ansprüchen offenbar nicht genügte – ich vermisste die Person, welche mir das auch so klar mitteilte. Gedanken, das Rudern nach kurzer Zeit wieder an den Nagel zu hängen, häuften sich.
Die Neugier, irgendwann das Gefühl des Gleitens im Ruderboot zu erleben, hielt mich davon ab. Aber wie erreichen? Ich versuchte mein Glück im Skiff. Meine Überlegung dahinter war recht einfach: Ich würde einfach so lange im Skiff trainieren, bis ich gut genug für andere bin – was auch immer das heissen sollte. Ich investierte einiges an Zeit, um mich mit dem Material vertraut zu machen, trainierte fleissig und nahm unzählige Stunden bei Sarah. Irgendwann öffneten sich tatsächlich ein paar unsichtbare Türen. Aber in der Zwischenzeit war es mir egal geworden. Nach gut einem Jahr See-Club Zug habe ich mich mit den Gepflogenheiten arrangiert.
Der Vielfalt gerecht werden.
Auch wenn sich die letzten beiden Absätze vielleicht ein wenig wie Satire lesen, es sollte Folgendes im Hinterkopf behalten werden. Es ist eine Tatsache, dass nicht alle Anfänger und Breitensportler dazu bereit oder in der Lage sind, gleich viel Aufwand und Energie in das Erlernen des Rudersports zu investieren. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass alle Ruderer – unabhängig vom Leistungsniveau – ein für sie erfüllendes Training erleben wollen. Das ist ferner die beste Voraussetzung, einen Ruder-sportler möglichst lange im Club zu halten. Es muss Platz für alle haben, sonst funktioniert das Konzept des Breitensports nicht.
Der einfachste Lösungsansatz ist folgender: Steigt das Niveau der Breitensportler insgesamt, erhöht sich der Benefit für jeden einzelnen. Keiner möchte wie im Sportunterricht während der Schulzeit als Letzter bei der Mannschaftwahl übrig-bleiben. Etwas schwieriger gestaltet sich das Onboarding der Anfänger – hier ist seitens Anfänger ein ganz klares Commitment gefragt. Der Einstieg in den Rudersport ist mühsam und erfordert Durchhaltewillen und Leidensfähigkeit. Es schadete ferner nicht, sich ein dickes Fell zuzulegen. Für Statistikfans kann festgehalten werden, dass aktuell nur 1-2 Anfänger pro Jahr „überleben“ und langfristig Freude am Rudersport entwickeln. Ein ernüchternder Wert, wenn man bedenkt, wieviel Ressourcen der Verein und einige Exponenten in die Ausbildung stecken. Umso wichtiger ist es, dass Anfänger auch nach dem Grundkurs ein attraktives Angebot vorfinden. Eigeninitiative vorausgesetzt besteht eine gute Chance, dass sie sich innert nützlicher Frist zu ebenbürtigen Breitensportlern mausern.
Der Blick in die Zukunft
In den vergangenen Wochen hat Maren unzählige Gespräche geführt, Workshops abgehalten, Szenarien diskutiert und sich Gedanken darüber gemacht, wie ein solches Angebot im Breitensport aussehen könnte. Das Konzept wird in diesem Ruderspritzer vorgestellt. Damit dieses Konzept funktioniert, sind wir letzten Endes wieder bei der Durchlässigkeit angelangt. Eine gelebte Durchlässigkeit bildet die Grundlage dafür, dass sich letztlich alle Vereinsmitglieder für den Verein verantwortlich fühlen. Frei nach Henry Ford:
„Zusammenkunft ist ein Anfang,
Zusammenhalt ist ein Fortschritt.
Zusammenarbeit ist ein Erfolg.“
Mir ist bewusst, dass ich mit diesem Artikel einige Themen angesprochen habe, welche im See-Club Zug kontrovers diskutiert werden. Schreibt mir eure Meinung dazu. Es wird sichergestellt, dass diesem Thema in den kommenden Ruderspritzer-Ausgaben gebührend Platz eingeräumt wird:
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