„Ein Schiedsrichter ist beim Rudern dafür da, gleiche Chancen zu gewährleisten und dort zu unterstützen, wo es nötig ist.“
Interview mit Humphrey Spoor - einem internationalen Ruder-Schiedsrichter am Rotsee.
Von: Julia Rachinskaya
Anlässlich der Schweizer Rudermeisterschaften am Rotsee durften wir mit einem aussergewöhnlichen Schiedsrichter sprechen: Humphrey Spoor.
Der gebürtige Niederländer lebt seit vielen Jahren in der Schweiz und war als internationaler Ruder-Schiedsrichter weltweit im Einsatz. Mit viel Erfahrung und Engagement sorgte er auf unzähligen Wettkämpfen für faire Bedingungen. Seit dem 1. Januar 2025 ist er aus Altersgründen – er hat die 70 erreicht – nun etwas seltener im Einsatz. In unserem Gespräch erklärt er, warum Gerechtigkeit sein persönliches Motto ist, wie wichtig gesunder Menschenverstand in seinem Beruf ist – und was er tut, wenn Teams sich nach dem Rennen „in die Haare geraten“.
Frage: Wie sind Sie zum Rudersport gekommen?
Antwort: Ich bin in den Niederlanden geboren und habe dort auch studiert. An der Uni bin ich dann über einen Club zum Rudern gekommen – und dabeigeblieben. Heute lebe ich in der Schweiz und arbeitete bis Anfang 2025 als internationaler Schiedsrichter.
„Die zwei wichtigsten Ziele für uns Schiedsrichter sind Sicherheit und Fairness – gleiche Chancen für alle.“
Frage: Was bedeutet Ihnen die Rolle als Schiedsrichter?
Antwort: Für mich ist es viel mehr als Regelüberwachung. Thomas Keller, der langjährige Präsident des Weltruderverbands FISA, hat das einmal sehr klar formuliert: Die zwei wichtigsten Ziele für uns Schiedsrichter sind Sicherheit und Fairness – gleiche Chancen für alle. Und darauf basiert für mich das gesamte „Grundgesetz“ des Rudersports.
„Nicht jede Situation steht im Regelbuch. Manchmal braucht es einfach gesunden Verstand.“
Frage: Was passiert, wenn das Regelbuch an seine Grenzen kommt?
Antwort: Das ist oft der Fall. Die Regeln geben einen Rahmen, aber es gibt unzählige denkbare – und undenkbare – Situationen. Als Schiedsrichter muss ich dann entscheiden: Was ist richtig? Was ist gesund? Nicht alles ist formell geregelt, und das ist auch gut so. Man muss offen bleiben, genau beobachten und menschlich entscheiden.
„Ich bin kein Polizist. Ich bin für die Sportler da.“
Frage: Was ist Ihre Haltung bei Konflikten zwischen Teams?
Antwort: Ich erinnere mich an eine Szene während einer Uster-Regatta: Zwei Teams waren heftig aneinandergeraten. Ich habe mir zunächst getrennt beide Seiten angehört, dann gemeinsam mit ihnen ein Verständnis für die Situation und eine faire Lösung erarbeitet. Am Ende habe ich gesagt: „Jetzt geht ihr zusammen auf meine Kosten etwas trinken.“ Und das haben sie auch gemacht. Meine Aufgabe ist es, zu vermitteln – nicht zu bestrafen.
„Wenn ich sehe, dass etwas verbessert werden kann, dann sage ich das – unter vier Augen.“
Frage: Geben Sie auch technische Ratschläge?
Antwort: Ja, manchmal. Das sind keine offiziellen Hinweise. Aber wenn ich sehe, dass ein Boot zum Beispiel in einem Rennen immer wieder störend und nicht gerade fährt, spreche ich die Mannschaft unmittelbar nach dem Zieleinlauf direkt und vertraulich an. Es geht darum, zu helfen, nicht zu beurteilen. Während das Rennen lernt man seine Mannschaften - und deren Qualitäten - kennen; man wachst in das Rennen hinein.
„Erst kommt die Sicherheit, dann die Fairness – genau in dieser Reihenfolge.“
Frage: Gab es in Ihrer Laufbahn Situationen, in denen Sie persönlich unmittelbar und sofort eingreifen mussten?
Antwort: Ja, einmal bin ich selbst ins Wasser gesprungen. Das Boot war gekentert und ein 16-jähriger Junge war unter dem Boot eingeschlossen – das Wasser war eiskalt. Ich habe keine Sekunde gezögert, meine Position als Schiedsrichter verlassen und geholfen.
In solchen Momenten wird klar, was wirklich zählt – den Ruderer unter dem Boot weg zu ziehen. Ich bereite meinen Bootspiloten auf solche Situationen vor – wir sind im Ernstfall die erste Rettungshilfe vor Ort. Alles andere tritt in den Hintergrund. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Sportlerinnen und Sportler zu schützen – nicht nur auf dem Papier, sondern ganz konkret, wenn es darauf ankommt.
„Eine Medaille kann man nicht zerschneiden – aber die Entscheidung muss fair sein.“
Frage: Was passiert, wenn zwei Boote gleichzeitig die Ziellinie überqueren?
Antwort: Eine solche Situation kommt selten vor, ist aber möglich: Wenn zwei Boote exakt gleichzeitig die Ziellinie überqueren – also innerhalb einer Hundertstelsekunde kein Unterschied im Bild der Zielkamera erkennbar ist –, wird ein geteilter Platz vergeben.“
In einem solchen Fall gibt es klare Regeln: Entweder teilen sich die Boote die Platzierung – oder, bei Finalrennen, kann es tatsächlich zwei Goldmedaillen geben. Eine Medaille kann man natürlich nicht zerschneiden (lacht), aber man kann beide Leistungen gleichwertig anerkennen.
Wichtig ist, dass solche Entscheidungen nie aus dem Bauch heraus getroffen werden. Die Zielfotos, die Messsysteme – das ist heute alles hochpräzise. Wenn wirklich kein Unterschied feststellbar ist, dann heißt es: Gleichstand. Und das ist am Ende auch ein Ausdruck von Fairness.
„Früher nannte man uns in Holland ‚Blau-Blazer-Mafia‘ – heute stehen wir näher bei den Ruderern.“
Frage: Wie hat sich das Rollenbild der Schiedsrichter im Rudersport verändert?
Antwort: Früher galten wir als distanziert, fast schon unnahbar. In den Niederlanden wurden wir scherzhaft als „Blau-Blazer-Mafia“ bezeichnet – das sagt einiges über das damalige Bild. Heute ist das ganz anders: Viele Schiedsrichter kommen selbst aus dem Rudersport, sind in Ruderclubs aktiv und kennen die Realität der Athletinnen und Athleten aus eigener Erfahrung.
Wir sprechen dieselbe Sprache – und das verändert alles. Wir sind für die Sportler da!
Frage: Was motiviert Sie persönlich an dieser Aufgabe?
Antwort: Gerechtigkeit. Das Gefühl für Fairness treibt mich an. Ich beobachte, unterstütze, mische mich nur dann ein, wenn es notwendig ist – aber ich bin immer da, um für die Sportlerinnen und Sportler einzustehen.
Interview geführt am Rotsee, 6. Juli 2025

Humphrey Spoor im Einsatz.